45Plus – Über den Umgang mit erfahrenen Fachkräften
In Deutschland herrscht akuter Fachkräftemangel auf allen Ebenen. Dies hat mehrere Ursachen. Eine davon ist die sich verändernde Altersstruktur in der Gesellschaft und damit natürlich auch in den Unternehmen. Während im Jugendwahn vergangener Jahrzehnte viele qualifizierte Mitarbeiterinnen frühzeitig in die Rente komplementiert wurden, erkennen heute die Unternehmensplaner diese wertvolle Ressource neu. Auch der Staat gibt vor: Die Lebensarbeitszeit verlängert sich. Zunehmend führen nun oftmals jüngere Managerinnen ältere Mitarbeiterinnen und Führungskräfte in ihren Arbeitsteams. Doch wie geht das? Gibt es Unterschiede in der Führungsarbeit und welche Konzepte und Methoden taugen?
Neue Ideen für ältere Mitarbeiter entwickeln
Das Führen erfahrener Mitarbeiterinnen bringt spannende Herausforderungen mit sich. Herkömmliche Führungs- und Anreizsysteme oder Motivatoren, wie beständig höhere Entlohnung oder Karriereversprechen, greifen hier zunehmend weniger. Auch Standards, wie beispielsweise das international genutzte Situative Führen, berücksichtigen viel zu wenig den Altersaspekt. Der Begriff der Reife bezieht sich dabei auf die Erfahrung im jeweiligen Job, Fertigkeiten, Übersicht, Eigenmotivation. Doch auch das Lebensalter an sich birgt eine ganz eigene Dynamik, hat Einfluss auf die Arbeit und das Verhalten von Menschen. Es bedarf neuer, oder doch zumindest erweiterter Konzepte und Ideen im Führungshandwerk, Menschen bis zum Ende ihrer Lebensarbeitszeit erfolgreich zu begleiten. Und diese gibt es.
Chancen und Empfindlichkeiten bedenken
Die Rahmenbedingungen für die beschriebene Situation bieten ebenso viele Chancen wie Empfindlichkeiten und Gelegenheiten für Missverständnisse. Die Chancen bestehen ganz klar darin, erfahrene, ältere Mitarbeiterinnen mit ihren jeweiligen Fähigkeiten sehr viel besser in den Arbeitsprozess zu integrieren, sie zu motivieren, ihre ausgereiften Kompetenzen und reichhaltigen Erfahrungen für das Unternehmen zu nutzen. Doch prallen oft zwei Welten aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein können.
Teilweise werden schablonenhafte Klischees gepflegt und als Argumentation gegen die jeweils andere Seite verwendet, anstelle deren besonderer Stärken als komplettierende Ergänzung wahrzunehmen. Schnell sind falsche oder überzogene Erwartungen da, Enttäuschung stellt sich ein und die Beteiligten ziehen sich in die von eben diesen Klischees geschützten Schneckenhäuser zurück. „Ist halt immer so“, „Ich hatte nichts anderes erwartet“, „Jung, dynamisch und nass hinter den Ohren“, „Alt, grau und hat nix mehr drauf!“ – die Liste ist beliebig lang. Stattdessen sollten wir uns lieber eine Spur weniger emotionalisiert den Inhalten und Fakten zuwenden und auf diesen konstruktive Lösungen aufbauen.
Typische Merkmale erkennen
Was ist typisch für bestimmte Altersabschnitte und welche Lebens- und Arbeitsthemen lassen sich daraus ableiten? Hier kann uns die Psychologie ein wenig unter die Arme greifen, gut beschrieben beispielsweise bei Schein „Career Dynamics“. Die Menschen nehmen sich und die Welt in den aufeinander folgenden Lebensphasen unterschiedlich wahr, sie widmen sich anderen Aufgaben und erleben andere Aspekte als zuvor als konflikthaft, belastend oder motivierend.
Die Midlifecrisis ist Standard in der Lebensmitte. Welche schwierigen Themen (jedoch auch Chancen) sich daraus ergeben, weiß so ziemlich jeder, der bereits drin war. Doch Jüngere eben nicht – außer sie haben sich damit bewusst beschäftigt, zum Beispiel bei der Führungsausbildung. Während Mitdreißiger vehement Anerkennung und Erfolge anstreben, wird der Motor von Mitvierzigern eher gespeist von Autonomiebestrebungen und mehr Verantwortungsbewusstsein über den engen Arbeitsalltag hinaus. Die typische Mittfünfzigerin arrangiert sich zunehmend mit dem bereits Erreichten, lernt sich mit – im Durchschnitt – nachlassenden physischen Fähigkeiten abzufinden, ist dem oft harten Wettbewerb mit Jüngeren ausgeliefert und braucht schlicht ganz andere Inhalte für die Eigen- oder Fremdmotivation.
Neue Chancen individuell entwickeln
Führungskräften, die Mitarbeiterinnen und andere Managerinnen in der Ebene unter sich führen, reicht das herkömmlich vermittelte Handwerkszeug überhaupt nicht aus. Und der gute Wille, an den bei Konflikten oft bei allen appelliert wird, schon gar nicht. Er ist sehr oft eher ein Indiz für Hilflosigkeit und Nichtwissen in diesem Umfeld.
Welche Methoden und Inhalte helfen also konkret? Einige Tipps und Gedankenanregungen: Jemand in oder nach der Midlifecrisis sucht gleichzeitig Sicherheit und Veränderungsmöglichkeiten. Die Sinnfrage wird in der Lebensmitte zum Entscheidungspunkt. Im letzten Begriff steckt nicht zufällig auch das Wort Scheidung. Prioritäten werden neu gesetzt, das Hinter- dem-Erfolg-Herhecheln motiviert nicht mehr 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Hier ergreifen viele Mitarbeiterinnen, die vorher Karriere nur im steten Aufsteigen begriffen haben, durchaus die neue Chance, diesen Begriff für sich neu und individuell zu definieren.
Mitarbeiterinnen über fünfzig sind sich der Restdauer ihrer Arbeitszeit sehr bewusst. Auch der noch verbliebenen Karrierechancenund Handlungsmöglichkeiten und – das ist sehr wichtig – ihrer eigenen, über das bisherige Arbeitsleben gesammelten Kompetenzen. Oft stellen sich da die Fragen: Was passiert mit diesen Erfahrungen? Was wird bleiben? In dieser Phase wirkt sehr motivierend, wenn die Gelegenheit geschaffen wird, diese Erfahrungen und Kompetenzen übertragen zu können. Ansätze, diese Übertragung zu ermöglichen, finden sich im Mentorship, in internen wie externen Expertenzirkeln und -gruppen, Einbindung in die Ausbildung jüngerer Mitarbeiterinnen und anderem. Auch qualifizierungstechnisch bieten sich sehr gute Chanchen. Ausbildung zum innerbetrieblichen Coach, Mediator, Moderator, Qualitätsmanager – Aufgaben, bei denen Seniorität sehr positiv zu Buche schlägt.
Aufgeschlossenheit der Erfahrenen bedenken
Was können Mitarbeiterinnen und Führungskräfte mit 45Plus zu einer positiven Entwicklung beitragen? Einiges! Die Bereitschaft, sich auf eine Neuwertung der eigenen Arbeitsperson einzulassen, sich veränderten Leistungskriterien zu stellen, die eigenen Karrierevorstellungen dem altersbezogenen Rahmen anpassen und neu definieren, sich auf ein anderes, auf andere Bewertungen bezogenes Gehaltsgefüge einlassen, sich neuen Aufgaben aufgeschlossen zuwenden, negative Verhaltensmuster und schlechte Angewohnheiten als Ballast hinter sich lassen, sich nicht zum „Berufsjugendlichen“ mutieren, Ernährung und der ganz persönliche Umgang mit sich selbst auf Vitalität und Gesundheit ausrichten und die verbliebene Arbeitszeit ganz bewusst und voller Leidenschaft widmen.
Neue Ideen und Konzepte sind gefragt
Solange Unternehmen Karriere ausschließlich in einem „Mehr an Personalverantwortung“ sehen, verbunden mit immer mehr Gehalt und Statusprivilegien, solange sollten sich Unternehmenslenker nicht wundern, wenn sich Motivationsprobleme in der Schicht erfahrener Mitarbeiter- und Führungskräfte zeigen. Dieses stete Aufstiegsrad verliert, eben bedingt durch die Hierarchiepyramide, rasch an Antriebskraft.
Spätestens bei den mittleren Führungskräften angekommen, wird auf dem Übergang zwischen Teamleiterinnenposition und den Abteilungsdirektorinnen die Luft Management deutlich dünner und die Beförderungsmöglichkeiten ausgesprochen rar. Führungskräfte und Unternehmen sind hier gefordert, Karrierealternativen auf anderer Entwicklungsbasis zu schaffen. Zum Beispiel ein funktionierendes Junior-Expert-Senior-Konzept.
Wichtig ist auch, die Arbeit von erfahrenen Mitarbeiterinnen neu und anders zu bewerten. Ein hohes Selbstwertgefühl ist für Motivation und Arbeitsleistung enorm wichtig. Hier den Leistungsmaßstab für ältere Mitarbeiterinnen an die gleichen Kriterien anzulehnen, wie an den für Jüngere, ist schlicht falsch. Fehlende oder falsche Leistungskriterien (Leistungsbewertung) finden sich auch in Performance Review-Systemen wieder, die ebenfalls der Überarbeitung bzw. Ergänzung bedürfen.
Wertvolles Potenzial überlegt nutzen
Die Chancen sind enorm! Anstatt sich auf einem schwierigen, teilweise sogar leer gefegten Arbeitsmarkt frustriert umzusehen, sind hier Mitarbeiterinnen und Führungskräfte verfügbar, die das Unternehmen, den Markt, die Kunden sehr gut kennen und die, richtig motiviert und geführt, die Summe vieler erworbener Kompetenzen für den Unternehmenserfolg einsetzen können. Die Gangart mag manchmal ein Tick langsamer sein, dafür bieten erfahrene Mitarbeiterinnen oft mehr Entscheidungssicherheit, den Blick für langfristig sinnvolle Entwicklungen, weniger Wechselwilligkeit und mehr Loyalität zum Unternehmen. Unternehmen, als Organisation betrachtet, benötigen konsequenterweise neue bzw. eine Fortschreibung der Konzepte für die Struktur, den Führungsaufbau, die Entlohnungssysteme, Anreize und Incentives, Mitarbeiterinnenbewertung und die Personalentwicklung. Führungskräfte, insbesondere jüngere Führungskräfte mit älteren Mitarbeiterinnen im Team, benötigen das Wissen um die vorgenannten Inhalte und Training in den kommunikativen, führungsmethodischen
Werkzeugen, eine von allen Altersgruppen ihrer Teams als positiv, fair und motivierend empfundene Führung mit Leben zu füllen.
Der Bedarf ist klar und die Zeit, neue Wege in der Führung zu wagen, ist günstiger denn je. Auf geht’s!
Karl Heinz Lorenz
Dipl. Betriebswirt (BA)
Managemnettrainer udn Coach, Inhaber LORENZ-SEMINARE Weidenthal/Pfalz
Tel.: 06329 989243
Fax: 06329 989430
khl@lorenz-seminare.de
www.lorenz-seminare.de